Geschichten vom Schilderförster: Winter in Hamburg

Ich liebe den Winter und ein spezieller Winter hat es mir ganz besonders angetan. Dieser Winter besticht durch einen strahlend blauen Himmel und eine nie zurückweichende Schneedecke. Klirrende Kälte lähmt meine Muskeln und ein gläserner Wind zerschneidet mir die Haut. Eiskristalle brennen im Atem und das Licht ist heller als sonst. Doch eins unterscheidet jenen Winter mehr als alles andere, vom üblichen Hamburger Schmuddelwinter. Er baut sich breitbeinig vor mir auf und sagt, – Na du kleiner Schildersteller, hast du schon deine langen Unterhosen an? Ich werde die kommenden Wochen dafür sorgen, dass du deinen Namen vergisst und deine Füße schwer wie Eisschollen werden. Deine letzten Freunde sollen die wenigen Stunden sein, die ich dir lassen werde, um in dein Bett zu kriechen und die Kraft, die du dort schöpfen wirst, werde ich dir mit meinem eisigen Lächeln sogleich wieder rauben.-

Abgesehen davon macht es mir durchaus Spaß, unter solchen Bedingungen zu arbeiten. Ich mag es, das Handschuhfach auszuräumen, um dort für ein paar Wochen im Jahr einen Ofen für meine Handschuhe und Wechselsocken zu schaffen. Ich finde es klasse, wenn ich mit dem Brecheisen Fußplatten voneinander trennen muss und meine Handschuhe am Schildermast festfrieren. Ich schaufel Schilder aus den Schneebergen, wenn die Räumfahrzeuge der Stadt sie über Nacht unter ihnen begraben haben. Ich grabe tiefe Löcher in dieselben, um für meine Halteverbote einen Platz zu schaffen. Mir läuft die Nase, meine Füße schmerzen, ich bin hellwach und liebe es, so richtig zu schuften. Die Fahrt von Auftrag zu Auftrag verlangt mir alles ab.
Alles in allem dauert die Arbeit auf jeden Fall wesentlich länger, kostet viel mehr Kraft und Konzentration. Und genau das ist es, was ich so mag.

Normalerweise bekomme ich fast täglich Anrufe, ob ich dies oder jenes noch nebenher erledigen könnte. Die bekomme ich zwar auch, wenn draußen ein Blizzard tobt, doch jeder versteht, dass ich mich um gar nichts anderes kümmern kann als irgendwie, irgendwann und auch noch unfallfrei meine Schicht zu beenden. Keiner erwartet ein Wunder von mir. Dadurch kehrt eine gewisse Ruhe ein und dann konzentriere ich mich nur noch auf meine Aufgabe!
Das ist, was den benannten Winter von allen anderen unterscheidet. Nach normalen Tagen frage ich mich jeden Abend, ob ich es hätte besser machen können. Wenn mich aber der eisigste aller Winter abends in mein Bett entlässt, weiß ich, ich habe alles gegeben und niemand hätte es besser machen können.
Und darum freue ich mich auf den Winter…

N.