Geschichten vom Schilderförster: Ohne Kupplung besser leben

Ich komme mir vor wie mein eigener Passagier. Das Motorengeräusch ist so sonor, ein wenig komme ich mir so vor, als säße ich in einem Linienbus, dann ein sanfter Ruck zwischen den Gängen und ich kann weiter dösen. Beide Hände sind am Lenkrad, doch eigentlich liegen sie dort nur, um mich fest zu halten und während mich das Fahrzeug wie an Fäden durch die Stadt befördert, denke ich über den Sinn des Lebens nach und versuche, nicht vom Sitz zu rutschen. Manchmal muss ich mich beherrschen, nicht einfach aufzustehen und einen bequemeren Platz einzunehmen. Ich kann mich kaum daran erinnern, wo ich gerade noch war und ob ich schon gebremst habe, denn es reicht, den Fuß vom Gas zu nehmen und langsam würde ich gern mal jemanden fragen, wie lange wir noch fahren. Aber ich bin allein im Wagen und nur um wach zu bleiben, streiche ich Tiger-Balm unter meine Augen und ich denke und denke und denke…

Mein Chef hat mir hinsichtlich meines kaputten Meniskus ein Fahrzeug mit einem Automatik-Getriebe zur Verfügung gestellt. Das ist ohne Zweifel sehr aufmerksam, und ich stehe, wie keiner wissen kann, tierisch auf Automatik!

Ich finde das ganze Leben sollte Automatik sein und – Halt! Ist es das nicht schon? Zumindest, wenn du nicht aufpasst?

Gestern Abend saß ich mit meinem Bruder, seiner Freundin und meinen Eltern beim Essen zusammen und beschrieb meine ersten Eindrücke von der Fahrt mit dem neuen Wagen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie mich verstanden und nehme auch nicht an, dass sie die Letzten waren. Mein Bruder erzählte daraufhin, wie er am Morgen in einem Parkhaus an die Schranke fuhr, ein Ticket löste und beim Anfahren – wie auch immer – rückwärts und dabei offenbar aus dem Bereich der Lichtschranke rollte, sodass die Schranke sich vor ihm direkt wieder schloss. Glücklicherweise wartete niemand hinter ihm und er unternahm sogleich den nächsten Versuch. Das hört sich nach genau der Horrorvision an, welche viele Menschen davon abhält, überhaupt in Parkhäuser zu fahren. Lieber stopfen sie die Straßen voll, statt an einer Steigung anzufahren. Kurios war, dass mein Bruder zugab, dass sein neuer Volvo eine Funktion hat, mit der er die Handbremse per Knopfdruck anziehen kann, während er das Ticket löst und diese sich automatisch löst, sobald er wieder Gas gibt. Er hatte das in der Situation aber nicht genutzt, weil er es zuvor noch nie probiert hatte. Kann man machen…

Nachdem sich alle, mit Ausnahme des Försters, ausgiebig über seinen Bruder totgelacht hatten, erzählte dessen Freundin, dass ihr neuer Citroen beim Anfahren am Hang eine automatische Rückrollsperre hat.

Da verging mir vollends das Lachen! Nicht mehr lang, dann nehmen Autos uns noch das Bremsen ab, dachte ich.

-Ach, das tun sie schon!?, tat ich erstaunt, -fragt sich nur, wie lange die uns dann überhaupt noch brauchen. Und wozu? Als Zweck, vielleicht?

Nach dem Frühstück nahm der Vater des Schilderförsters ihn beiseite und sagte,

-Übrigens, in einer Woche wirst du die Automatik lieben!

Wir werden sehen…

 

N. 31.03.13